01.06.2021 08:44

Miroslav Srnkas Weltraum-Oper in München

Ein Blick in die nicht allzu ferne Zukunft: In ihrer neuen Oper „Singularity“ stellen der Komponist Miroslav Srnka und der Autor Tom Holloway Gedankenspiele über computerisierte Menschen, Updates, menschliche und technische Fehlfunktionen an. Ihre Oper ist ein rasantes Spiel mit Versatzstücken der Cyberwelt, sie verbindet die Vision mit einer Farce und einem Blick in menschliche Abgründe. Ausdrücklich für junge Stimmen geschrieben, entstand „Singularity“ eigens für das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper. Die Uraufführungsinszenierung verantwortet Nicolas Brieger, das Klangforum Wien wird dirigiert von Patrick Hahn. Die Produktion wird sowohl live gespielt als auch im Stream zu erleben sein. „Singularity“ ist nach „Make No Noise“ und  „South Pole“ die dritte Oper von Miroslav Srnka und Tom Holloway für die Bayerische Staatsoper.

Was wäre, wenn es demnächst durchaus komisch zuginge im Weltraum und mit der Künstlichen Intelligenz? Ab dem Jahr 2045 sei denkbar, so vermuten einige Forscher, dass Computerintelligenz die Denkleistung des Menschen überhole, sie bezeichnen diesen Zustand als Singularity. Miroslav Srnka und Tom Holloway verbinden in ihrer Oper „Singularity“ diese Vision mit einer Handlung über die Folgen für das menschliche Zusammenleben. Die Vorgänge: Das Internet wurde kürzlich in den menschlichen Körper implantiert. Die Menschen können sowohl mit ihrer Stimme als auch durch die Verbindung ihrer Gehirne kommunizieren. Doch nach dem letzten universellen Update verbreitet sich der erste Virus des Zeitalters. Ein Liebespaar soll auch aktualisiert werden. Sie nimmt das Update vor, er ist zu faul dazu. Plötzlich sieht er, dass sie infiziert wurde und ihre Gedanken und Geheimnisse für alle sichtbar sind, die ebenfalls infiziert wurden. Die Menschen ohne Update jedoch werden in einer Raumstation zu Forschungszwecken isoliert, mit besonderen Folgen und einem überraschenden Ausgang …

Wie komponiert man eine Oper, die in der Zukunft und im Weltraum spielt, was sind die musikalischen Prinzipien? Miroslav Srnka beschreibt den Kern der Geschichte: „Es ist ein Stück über eine Spaltung unserer Kommunikation. Diese besteht bereits heute in der Trennung von unserer physischen Existenz und unserer digitalen Identität in solchen Medien wie Chat und Social media etc. …  ,Singularity‘ ist zugleich ist es eine Komposition für junge Stimmen, für ein volles Ensemble mit je zwei Sopranen, Mezzi, Tenören und Baritonstimmen, in der jede Figur doppelt besetzt wird: einmal für die reale, ‚analoge‘ Kommunikation und einmal für die digitale. Die musikalische Gestaltung folgt dann der Vorstellung einer zukünftigen Wahrnehmung, wenn unsere digitale Kommunikation nicht mehr über Geräte wie das Smartphone stattfindet, sondern durch eine direkte Anknüpfung an ein Kommunikations-Implantat in unserem Nervensystem. Und da es eine Komödie ist, gibt es bei einem Update der Implantate ein Virus, auf die eine digitale Quarantäne folgt.“

Die Aufteilung in eine digitale und eine analoge Stimme hat in der Oper einen besonderen Umgang mit dem Gesang, der Sprache und dem Sprachgeräusch zur Folge, wie Miroslav Srnka beschreibt: „Die Stimmen fordern alle Abstufungen von einer vollen Opernstimme über alle möglichen erweiterte Vokaltechniken bis hin zu  einer freien Stimmartistik und sogar einer sehr kurzen Schauspielpassage. Dabei ist alles ist auf junge Stimmen eingerichtet und ihre spezifischen Möglichkeiten. Wir haben ein Riesenglück mit der Besetzung durch das unglaublich gute Studio der Bayerischen Staatsoper. Die Flexibilität, Selbstentwicklung und Öffnung aller Beteiligten ist atemberaubend.“

Was ist Miroslav Srnka besonders wichtig an diesem Werk? „Als wir uns das Konzept des Virus und der digitalen Quarantäne zwischen 2018 und 2019 ausdachten, ahnten wir nicht, wie nah dies an unsere heutige alltägliche Erfahrung reicht. Es ist verblüffend, wie wir erst in einer Isolation erfahren, wie einsam wir tatsächlich in der Welt des omnipräsenten Austausches sind. Trotzdem haben wir das Konzept einer Komödie über diese Fragen durchgezogen, obwohl ich daran oft gezweifelt habe. Aber das Lachen mit Tränen – wozu es ja auch ein weithin missbrauchtes Emoji gibt –  kann schließlich die Auflösung jeglicher Tragödie sein.“
Das Sujet greift in der Behandlung der ganz alltäglichen Kommunikation auch die kleinen Absurditäten des Zusammenlebens auf: „Es ist eine Science-fiction-Geschichte, ich denke allerdings nicht, dass sie absurd ist. Im Gegenteil, es wird sehr wohl bald möglich sein, dass wir genau so verbunden sein können, wie es auch der Futurologe und Musikinstrumentenerfinder Ray Kurzweil in einem Text zu unserer Uraufführung beschrieben hat. Sowohl Science-Fiction als auch Komödie muss ebenso ernsthaft wie eine tragische Geschichte erzählt werden. Sie sind vielleicht noch schwieriger zu verwirklichen. Für mich ist immer wieder erstaunlich, wie unterschätzt und missachtet diese Genres sind, sowohl in der Literatur, als auch in der zeitgenössischen Musik.“

Marie Luise Maintz
(Juni 2021)

Weitere Informationen: www.staatsoper.de/stueckinfo/singularity

Szenenfoto: Wilfried Hösl