Trost in der Natur. Leo Blechs glanzvolle Barcarole
Ein wichtiges Orchesterwerk des Dirigenten und Komponisten liegt ab sofort als neugesetztes Aufführungsmaterial vor und kann leihweise über Bärenreiter · Alkor für Konzerte im Jubiläumsjahr des 1871 in Aachen geborenen Musikers bezogen werden.
Der 150. Geburtstag Leo Blechs am 21. April 2021 ist ein willkommener Anlass, neben der herausragenden Dirigentenpersönlichkeit auch den Komponisten Blech zu würdigen. Neben zahlreichen Klavierliedern widmete sich Blech schwerpunktmäßig dem musikalischen Drama und erzielte hier – insbesondere auf dem Gebiet der komischen Oper – auch seine größten Erfolge. Aber schon mit den zwischen 1898 und 1901 entstandenen wenigen orchestralen Werken legte er ein beredtes Zeugnis seiner Könnerschaft ab.
Dazu zählt auch „Trost in der Natur“, eine Barcarole für Orchester, die als Opus 7 mit Unterstützung der Prager Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur im angesehenen Verlag von Max Brockhaus in Leipzig erschienen ist. Die Uraufführung fand 1901 in Prag statt, weitere Aufführungen folgten, u. a. in Dresden unter Ernst von Schuch und in Berlin unter Richard Strauss.
Die Wertschätzung des jungen Kollegen durch die renommierten Dirigenten ließ aufhorchen. Die beifällige Aufnahme des Werks und die positive Resonanz in der zunehmend auch überregionalen Fachpresse taten ein Übriges, das Interesse an dem Komponisten Blech zu wecken und seine tonschöpferischen Qualitäten wahrzunehmen.
Während der Titel „Trost in der Natur“ dazu geeignet sein kann, die Imagination eines musikalischen „Programms“ anzuregen, zeichnet der Begriff „Barcarole“ ein klares formales Konzept. Mit einer liebenswürdigen und besonders pittoresken Darstellung beschreibt Ernst Rychnovsky in seiner biographisch-ästhetischen Studie aus dem Jahr 1905 Form und Inhalt des Stückes so:
„Der angenommene Held des Ganzen ist, wie die gestopften Hörner, die sein Motiv intonieren, erraten lassen, unmutig über diese oder jene Widerwärtigkeiten des Lebens; aber energisch will er, was ihn drückt, von sich abschütteln, und dazu muß Mutter Natur ihm ihre Hilfe leihen. Da ertönt schon das Hauptthema der Barcarole, von Streichern ausdrucksvoll vorgetragen. Flöten und Klarinetten umspielen es, wie leicht gekräuselte Wellen, die sich an einem ruhig daliegenden Boote brechen. Vergessen und Erholung liegt auf dem Wasser. Nichts verscheucht Ärger und Grillen besser, als eine Kahnfahrt auf dem Fluß. Die Melodie der Barcarole wird zur Trostweise, in hundert Nachahmungen und kanonischen Führungen dringt sie an sein Ohr. Da auf einmal ändert sich die Szene! Vierfach geteilte Celli lassen ein zartes Gesangsthema (A-Dur) erklingen. Es ist, als ob von fern eine selige Insel winke. Wie neubelebter Ruderschlag setzt das Barcarolenthema wieder ein und eine bewunderungswürdige thematische Verknüpfung gibt uns die Gewißheit, daß der anfangs so übelgelaunte Stadtmensch bei jenem Eiland nun wirklich seinen Trost in der Natur gefunden hat.“
Auch wenn Blech hier und da die Klangwelt seines Mentors und Freundes Engelbert Humperdinck hindurchschimmern lässt, ist es, neben einer exzellenten Instrumentierung, die kunstvolle polyphone Verarbeitung der Themen, die seinen eigenen Stil in besonderem Maße kennzeichnet und in der Barcarole geradezu exemplarisch durchgeführt ist. Und im gleichen Moment vermag das etwa zwölfminütige Werk große musikalische und dynamische Bögen zu spannen – fürwahr ein mit reichlich orchestralem Glanz ausgestattetes Gondellied.
Zu Leo Blechs 150. Jubiläum stellt Bärenreiter „Trost in der Natur“ aktuell wieder für die Konzertbühnen bereit, die Barcarole ist nun auch mit neuem Orchestermaterial erhältlich.
Genannt seien an dieser Stelle der Vollständigkeit halber aber auch die weiteren Orchesterwerke Blechs: die symphonischen Dichtungen „Waldwanderung“ op. 8 und „Die Nonne“ op. 6 (letztere edition ebenos, Aachen), sowie die beiden Chorstücke mit Orchesterbegleitung „Von den Englein“ und „Sommernacht“ (ebd.).
Philipp Zehm
(Januar 2021)